TRASA ist eine simultane Installation an zwei Orten im öffentlichen Raum, die über zwei Medien interaktiv verbunden sind: ein akustisches Medium, in dem literarische Texte und elektronische Klänge übertragen werden, und ein visuelles Medium, in dem Live-Bilder der Passanten gegenseitig übertragen werden.
Die audiovisuelle Situation TRASA wurde erstmals für eine Installationszeit von über zwei Monaten realisiert an zwei zentralen Plätzen in Berlin und Warschau: dem Alexanderplatz und dem Plac Defilad. In dieser stark merkantil geprägten Umgebung konnten sich die Passanten der beiden Städte im Untergrund begegnen - in Fußgängerpassagen zur U-Bahn.
Die Fußgängerpassagen führen direkt auf eine Wand über einer Treppe. Dort war eine Kamera angebracht, die die Leute frontal aufnahm. Dieses Bild wurde wieder an dieselbe Wand projiziert und zugleich in die andere Stadt übertragen.
Das Bild aus der anderen Stadt (remote) wurde neben das eigene Spiegelbild (local) projiziert. Die Passanten des einen Stadtraums blickten so unmittelbar auf die Passanten des anderen Stadtraums – und zugleich auf sich selbst: Fremdwahrnehmung und Selbst- wahrnehmung als simultaner Prozess.
Zeitverzögerung
Durch die Internetübertragung kam es bei dem entfernten Videobild zu einer Verzögerung von ca. 2 Sekunden. Aber auch das lokale Spiegelbild wurde um dieselbe Zeit verzögert, so dass man auch sich selbst nur mit einer Zeitverschiebung wahrnehmen konnte. Gerade dies führte viele Besucher der Installation zu einem ausgiebigen Interaktion mit sich selbst, bevor sie entdeckten, dass es auch noch eine andere Seite gab, mit Passanten aus einer anderen Stadt. Die körpersprachlichen Kommunikationsformen, die sich dann entwickelten, waren sehr vielfältig: vom stummen Gegenüberstehen über gestisches Flirten bis zu politischen Demonstrationen.
Visuelle Verfremdung
Durch die visuelle Verfremdung in ein kontrastreiches Graustufenbild mit Unschärfen wurden die Differenzen zwischen Alter, Klasse, Nationalität und Geschlecht verwischt. Man stand sich gegenüber und konnte nicht genau erkennen, wer der Andere war. Sogar sich selbst trat man als Frem-der gegenüber. Durch die direkte Projektion auf die Wände – in Berlin eine grün gekachelte Mauer – wurde dies noch verstärkt. Die Mauer selbst wurde jedoch zum Fenster, das den Blick in einen weit entfernten Stadtraum ermöglichte.
Virtuelle Grenzen
Die Perspektive war so gewählt, dass die Kamera eine lange Passage nach hinten aufnahm, so dass die Passanten von weit her auf sich selbst und die Anderen zuliefen. Bevor es die Treppe hinunterging waren sie voll im Bild, in Lebensgröße. Aufgrund der Bildgrenzen des Ausschnitts konnten Leute plötzlich auftauchen und verschwinden, oder in ein interaktives Spiel kommen, in dem sie die Körper ineinanderfließen ließen und sich virtuell berührten.
Innerhalb dieser visuellen Konstellation war mittels eines Laser-Distanzsensors eine räumliche Strecke definiert, auf der ein begehbarer Text – in Berlin das Gedicht „Glückloser Engel 2“ von Heiner Müller, in Warschau „Bahnhof“ von Wislawa Szymborska – hörbar wurde (am Boden als gelbe Linie TRASA-TEXT markiert). Trat ein Passant an einer Stelle in den Sensorbereich, so hörte er die diesem Ort zugeordnete Textstelle in einer musikalischen Umspielung. Der Text konnte auf diese Weise körperlich durchschritten und abhängig von der eigenen Position erfahren werden.
Interaktive Text Loops
Um die momentane Textstelle erklingen zu lassen, auf der ein Besucher stand oder sich bewegte, wurde ein Zeitfenster auf die entsprechende Stelle in der Aufnahme gelegt und dieser Ausschnitt geloopt (moving text window).
Ähnlich wie bei einem Granularsyntheseverfahren war die Länge und Position des Zeitfensters bzw. des loops dabei in mehrerer Hinsicht variabel (loop duration, random position, duration var, multi voice).
Blieb also ein Besucher auf einer Stelle im Sensorbereich stehen, so fingen die computergesteuerten Prozesse an, die dabei zu hörende Textstelle zu umspielen, so dass der Text nicht mechanisch starr sondern in Variationen wiederholt wurde. Durch den nahtlosen Anschluss der variierten Wiederholungen ergaben sich auch neue Textbausteine und Lautkonglomerate sowie neue Sinnzusammenhänge.
Generierung eines gemeinsamen Klangraumes
Die Textloops wurden dabei über 10 bzw. 16 im Raum verteilte, rote Hornlautsprecher und je zwei HiFi-Boxen wiedergegeben, in sich verändernden Klang-variationen und Stimmvervielfachungen. Während die Passanten in der Warschauer Passage den polnischen Textfluss bestimmten, steuerten die in der Berliner Passage den deutschen Textfluss. Die Steuerungsdaten wurden simultan übertragen, so dass die Texte in beiden Räumen zu hören waren. Die beiden Sprachen mischten sich in einem gemeinsamen Klangraum zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen.
Literarische Reflektion
Die Gedichte waren nicht nur als sprachliches Klangmaterial eingesetzt sondern auch als Reflexion auf die reale Situation in dieser Installation. In beiden Texten werden Situationen des Zusammenkommens und doch nicht Zusammenkommens beschrieben. In beiden geht es um etwas, das fehlt. In der audiovisuellen Situation vor Ort konnten sich die Leute zwar sehen und waren zugleich weit voneinander entfernt. Sie konnten nicht miteinander sprechen und hörten dennoch die beiden Sprachen.
In den Bildern der beiden Gedichte steckt eine private Intimität, die im Gegensatz zu der anonymen, öffentlichen Situation stand, in der sie auftauchten. Darüber hinaus taucht in den Gedichten der Gedanke an eine Utopie auf: eine, die vielleicht nicht mehr zu erreichen ist, wie bei Szymborska: „im verlorenen Paradies der Höchstwahrscheinlichkeit. Woanders, woanders. Wie diese Wörtchen klingeln.“ oder eine, die nicht mehr zu erkennen ist, wie bei Müller: „der Engel, ich höre ihn noch, aber er hat kein Gesicht mehr als Deines, das ich nicht kenne“. Beide Dichter enden hier in akustischen Metaphern für ihre Bilder des Utopieverlustes.