Das Ausstellungsprojekt "Post Colonial Flagship Store"
(PCFS) setzt sich mit Strukturen und Methoden eines neuen, ökonomischen
Kolonialismus in der Welt aus- einander und lässt Arbeiten von 16 Künstlern in
einer Warenwelt-Camouflage auftauchen.
Was vor 100 Jahren der Kolonialwarenladen war, ist heute der globale Flagshipstore.
Die im PCFS ausgestellten Objekte und Projekte spielen mit dem Warencharakter,
drehen die Verhältnisse um oder verführen die Besucher mit modernen Formen des
Kolonialen, um einen explizit post-kolonialen Raum entstehen zu lassen - einen
Raum, in dem die vergangenen wie die heutigen Erscheinungs- formen des Kolonialismus
ins Bewusstsein treten, um sie hinter sich zu lassen.
Kuratorisches Statement von Georg Klein und Sven Kalden
Following Traditions – Creating Markets
Seit der Finanzkrise scheint Europa völlig mit sich selbst beschäftigt, kämpft mit bankrotten Staaten, rettet Großbanken und ihre Anleger. Und bis heute ist Europa wenig bereit, die Grundlage für den eigenen – nach wie vor immensen, wenn auch immer ungleicher verteilten – Reichtum anzuerkennen: die koloniale Vergangenheit und ihre post-koloniale Gegenwart.
Colonialsm is not over, it is all over. (Walter Mignolo, 'Black Europe Body Politics')
Im Zuge der Globalisierung, die ihre Anfänge in den ersten kolonialen Entdeckungen des 15. Jahrhunderts hat, deren "bestimmender Antrieb die schrankenlose Gier nach Gold war" (Arno Klönne), entstehen heute immer mehr "Geschäftsbeziehungen", die quasi ein koloniales Verhältnis begründen bzw. weiter fortschreiben. Dabei ist es nicht mehr nötig, die machtpolitischen Bedingungen zu diktieren, wie es noch die Kolonisatoren der vergangenen Jahrhunderte taten. Aber es werden die ökonomischen Bedingungen diktiert, um eine Höchstmaß an Profit zu generieren. Ob bei den Näherinnen in Bangladesch oder in den Kupferminen von Sambia – es ist eine ungemein elegantere Strategie: Die Abhängigkeitsverhältnisse sind ähnlich ausgeprägt wie zu kolonialen Zeiten, nur die Verantwortung wird von den Konzernen völlig auf die Subunternehmen vor Ort abgewälzt. Ziel des heutzutage global agierenden, schlanken Unternehmens ist es, nicht mehr möglichst viele, sondern möglichst wenig Beschäftigte zu haben, um jede produktionsbedingte Verantwortung abzugeben, sei es gegenüber der Umwelt oder gegenüber den Arbeitern und ihren Gewerkschaften. Und jede Entlassungswelle eines Großkonzerns hierzulande wird an der Börse begeistert mit Kurssteigerungen belohnt.
Es wird kein realer, sondern mentaler Raum kolonialisiert. (Naomi Klein, 'No Logo')
Ziel des heutzutage global agierenden, schlanken Unternehmens ist es daher auch, seinen Wert nicht mehr über reale Produkte und reale Produktionsstätten, sondern über seinen Markenwert zu definieren. Die globale Marke, um deren Pflege sich immer größer werdende Marketingabteilungen bemühen, soll in alle Ritzen und Fugen des öffentlichen wie privaten Raums vordringen, um sich in den Köpfen der Konsumenten festzusetzen. An der Spitze der Inszenierung der Marke steht der Flagshipstore, wie er zunehmend die Innenstadtlagen der Metropolen veredelt. In Reinform und mit hohem ästhetischen Anspruch wird hier die Marke zelebriert und der Einkauf zu einem mind branding: "Die Lichter, die Musik, die Einrichtung und die Besetzung des Verkaufspersonals erwecken den Eindruck eines Schauspiels, in dem Sie, der Käufer, eine Hauptrolle spielen. Bei dem auf eine einzige Marke ausgerichteten Einzelhandel geht es darum, die Verbraucher so zu prägen, wie die Bäuerin positiv die Gänseküken prägt, denen sie jeden Tag eine Hand voll Körner hinstreut." (Michael Wolf, 'The Entertainment Economy').
Vom Kolonialwarenladen zum Flagshipstore
Die kapitalistische Welt begann sich vor über 500 Jahren zu konstituieren, als sich der Kolonialismus und das Bankenwesen ineinander verschränkt entwickelten und sich gegenseitig beförderten. Heutzutage scheint der Kolonialismus Vergangenheit, doch hat er nur seine Erscheinungsform geändert. Was vor 100 Jahren der Kolonialwarenladen war, ist heute der Flagshipstore. Er bietet auf der einen Seite eine saubere Konsumwelt frei jeder Verantwortung, die auf der anderen Seite (des Globus) eine auf Ausbeutung beruhende „Zusammenarbeit“ in sogenannten Sonderwirtschaftszonen oder auf der umweltschädigenden Gewinnung natürlicher Rohstoffe beruht. Und es ist die inzwischen sehr reich gewordene Oberschicht in diesen ehemaligen Kolonialländern, die das eigene Land und die eigene Bevölkerung wie ein Kolonialgebiet behandelt und den globalen Unternehmen ausliefert. Exzesse wie Medikamententests in Indien an der nichts ahnenden Bevölkerung, Vertreibung der Landbevölkerung in Brasilien zugunsten von Soja- und Fleischproduktion oder die zahlreichen Selbstmorde in den Fabriken chinesischer Computerzulieferer werden hierzulande dann zwar als markenschädigend abgelehnt. Doch nach dem Abklingen der Empörungswellen profitieren letztlich alle Konsumenten von den günstigen Preisen, und zur Beruhigung des Gewissens leisten sich viele Markenunternehmen Vorzeigeprojekte, die sich mit sozialem Engagement und Nachhaltigkeit schmücken.
Wir fordern das Recht auf nicht kolonialisierten Raum. (Naomi Klein, 'No Logo')
Die kapitalistische Kolonialisierung findet auf beiden Seiten statt: auf der Produktionsseite wie auf der Konsumentenseite, in den Niedriglohnländern wie in den Überflussgesellschaften, in den ausgemergelten Körpern wie in den marketingverblendeten Köpfen. Das "Recht auf nicht kolonialisierten Raum" betrifft nicht nur die neokolonial abhängigen Länder, sondern auch die Menschen der Zielmärkte. Hier werden öffentliche Räume zur gebrandeten Werbelandschaft, Konzertveranstaltungen zur Sponsoringshow, und die großen Marken lassen ihre eigenen Verkaufsräume inzwischen wie eine Ausstellung designen, in der die in Billiglohnländern hergestellten Verkaufsobjekte wie Kunstwerke präsentiert werden. Eine Tendenz, die in unserer Ausstellung nun eine Umkehrung erfährt: die Kunst taucht in einer durch und durch gebrandeten Warenwelt auf - dem PCFS Flagshipstore. Die ausgestellten Objekte und Projekte reflektieren sowohl inhaltlich als auch in ihrer Präsentationsform das Thema des ökonomischen Neokolonialismus, spielen mit dem Warencharakter, verführen die Besucher und Besucherinnen mit modernen Formen des Kolonialen. Dabei werden die Verhältnisse oftmals umgedreht oder subversiv affirmiert, um einen explizit post-kolonialen Raum entstehen zu lassen. Ein Raum, in dem die vergangenen wie die heutigen Erscheinungsformen eines Kolonialismus ins Bewusstsein treten, in einem Spiel zwischen Kunst und Wirklichkeit, um sie vielleicht im realen Leben hinter sich zu lassen.