Ein Nicht-Ort (Non-Lieux) ist dem Anthropologen Marc Augé nach ein Ort, dem es vor allem an etwas mangelt – Identität, Relation, Geschichte. Ein Ort der Anonymität, der Einsamkeit, der Entwurzelung. Räume der Moderne, des Urbanen, des Transitorischen. Zugleich Räume des absichtslosen Zusammentreffens, der zufälligen Begegnung, der Heterogenität. Möglichkeitsräume.
Der Raum unter der Hochbrücke von Burgdorf ist in der prosperierenden Fachwerkstadt sicher der mit der geringsten Aufenthaltsqualität. Er wird trotzdem vielfach genutzt: als Passage vor allem von Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, aber auch Parkplatzsuchende und Skater sind hier anzutreffen. Dieser von kaltem Beton geprägte Nicht-Ort bekommt nun eine klangliche Färbung, die ihn transformiert und zugleich konturiert.
Fugenklang und Gitterklang
Das klangliche Material dieser Verwandlung hat seinen Ursprung in diesem Ort selbst: das rhythmische Klackern der Dehnungsfuge, das die darüberfahrenden Autos erzeugen, und das Klangpattern der Gitterstäbe am Sockel der Brücke.
Beide Klangelemente werden mit elektronischen Mitteln musikalisiert. Dabei werden die trockenen Ausgangs-geräusche mittels Filterungen durch 12 Harmonien geführt, die alle 3 Minuten wechseln, und räumlich verteilt, so dass immer wieder sich ändernde Echostrukturen ergeben.
In diese klangliche "Harmonisierung" des Stadtraums treten zwei weitere ortsspezifische Klänge hinzu: der Glockenklang der nahen Pankratiuskirche taucht zu jeder vollen Stunde in irritierender Weise musikalisch transformiert auf, und eine Sprechstimme, die eine Inschrift vom Alten Rathaus wiedergibt und das Überstehen einer Notlage thematisiert, wie wir sie auch gerade durch die Corona-Pandemie erfahren.
Während die Gitterklänge beim Durchfahren im Straßenbereich erklingen, taucht die Stimme in bruchstückhaften Loops im Fußgängerbereich vor der Installation auf, wenn Passanten auf die Interaktionslinie geraten.
Diese interaktiven Variationen werden live generiert, so dass die Passanten immer wieder neu in ein Spiel geraten können. Und jeder Autofahrer, der über die Brücke fährt, spielt unbewusst mit. Das Moment der Passage geht ein in das klanglich-musikalische Geschehen und macht zugleich aus dem Nicht-Ort einen Ort des Zuhörens, ein Ort des Zusammenkommens in einer schwierigen Zeit.